Man versucht alles loszulassen, was man für das Ziel nicht braucht

Wenn Johannes Maria Schwarz nicht gerade tausende von Kilometern zu Fuß zurücklegt, lebt er in einer Einsiedelei in den italienischen Alpen. Einsam fühle er sich dabei selten. Und unterwegs vermisse er lediglich, den Dingen in seinem Garten beim Wachsen zuzusehen. KUCK hat mit Pater Johannes über das Pilgern gesprochen.

Johannes Maria Schwarz kommt aus der Nähe des ältesten Tortenrezeptes der Welt – das behaupten zumindest die Linzer. In jungen Jahren verdiente er sein Taschengeld als Straßenkünstler. Heute ist er katholischer Priester, Dogmatiker, Medienschaffender, liebt das Land, die Berge, Georges Rouault (Anm. d. Red.: Franz. Maler und Grafiker der Klassischen Moderne) und von den mittelalterlichen Freskenmalern vor allem diejenigen, die es nicht für notwendig hielten, ihre Meisterwerke zu signieren.

Vita Hominis Peregrinatio – das Leben des Menschen ist eine Pilgerschaft. So heißt es auf deiner Homepage. Was meinst du genau damit?

Das Wort „Pilger“ kommt aus dem Lateinischen (peregrinus) und bedeutet „der Fremde“, „der, der jenseits des Ackers ist“. Das Betrachten des Lebens als Pilgerschaft bedeutet demnach die Ansicht, dass diese schöne, weite Welt nicht unsere wahre Heimat ist. Wir verweilen hier nur kurze Zeit. Vergänglich ist unser Besitz, vergänglich sind die Jahre. Unser Weg liegt hier. Doch das Ziel liegt nicht in dieser Welt. Ich weiß, das klingt sehr religiös, aber „Pilgern“ ist nun mal trotz aller modernen Volksbewegungen zwischen Kultur und Tourismus unter Kapuzen aus Goretex und auf gedämpften Vibramsohlen eine religiöse Vokabel.

Kann man Pilgern auch als eine Art Alltagsflucht sehen?

Alles kann zur Flucht werden. Aber die entscheidende Frage ist wohl, ob man vor etwas flieht oder zu etwas hin „flieht“. In ersterem Fall, wo es vorrangig ein Davonlaufen ist, bleiben die Probleme in der Regel bestehen, auch wenn man sie nach dem Ausflug auf dem Pilgerweg hoffentlich anders einordnen oder meistern kann. Im zweiten Fall, wo man das Gewohnte und Sichere verlässt, um dem Größten und Schönsten mit eiligen Schritten hinterherzujagen, läuft man nicht weg, sondern bricht zu einem neuen Ziel auf. Dieses Ziel – im Sinne der „peregrinatio“ – ist Gott. Man versucht alles loszulassen, was man für dieses Ziel nicht braucht, oder was auf jenem Weg nur sperrig und hinderlich wäre.

Johannes Maria Schwarz
© Johannes Maria Schwarz

Die Reise zu Fuß nach Jerusalem gehört sicherlich nicht zu den sichersten Reisezielen der Welt. Hattest du auch mal Angst?

Da mein Weg nach Jerusalem über weite Umwege (Russland, Kaukasus, Iran, Kurdistan etc.) führte, war ich immer mal wieder in ungewöhnlichen Situationen. Angst gab es auch. Da gab es die Urängste, die tief im Menschen liegen und die sich bemerkbar machen, wenn man im Wald auf Bärenspuren trifft, oder mitten in der Nacht rund um das Zelt schauriges Heulen losbricht. Und dann gibt es Ängste, die aus der Unberechenbarkeit des Menschen – durch Alkohol, Waffen und die Kombination von beidem – entstehen.

Angst ist völlig ok. Angst ist auch wichtig. Sie zeigt an, dass man aufpassen sollte. Angst wird nur zum Problem, wenn sie beginnt, das Handeln nicht nur zu informieren, sondern zu kontrollieren. Wenn die Vernunft die Zügel aus der Hand gibt, dann werden Angst und Handeln irrational. Und das hilft nicht. Die objektiv gefährlichste Situation jener Reise war aber wohl, als mich auf dem Heimweg in Italien ein Auto angefahren hat. Da blieb zwar kaum Zeit für Angst – so schnell ging das –, aber der Schrecken eines Fiat mit rauchenden Bremsen, der sich unaufhaltsam auf einen zubewegt, bleibt einem länger eingebrannt als die blauen Flecken, die Schürfwunden und alle Geschichten von Wölfen und tödlichen Skorpionen.

Welcher Ort auf der Via Alpina Sacra hat dich am meisten beeindruckt?

Das ist schwer zu sagen. Was mich am meisten beeindruckt hat, war weniger ein bestimmter Ort, als vielmehr die persönlichen Geschichten, die an vielen dieser Orte sichtbar werden. Sichtbar werden sie etwa durch die Votivbilder. Ich bin vor tausenden dieser Glaubenszeugnisse gestanden. Diese Bilder in ganz unterschiedlichen Malweisen und Stilrichtungen waren wie Fenster in unzählige Biografien, von denen sonst kein Buch erzählt. Sie ließen diese Orte lebendig werden und zum Ausdruck eines Glaubens, der in Freud und Leid, in Frieden und Wirren, in Wohlstand und Not den Menschen eine Richtung weist. Es waren Werke, geschaffen von Pilgern für nachkommende Pilger auf dem Weg durch die Zeit.

Was ist dein nächstes Pilgerziel?

Es ist noch immer dasselbe wie am Anfang: Gott näher zu kommen, ob im Laufen durch ferne Länder, im Bürostuhl vor der Schnittsoftware oder beim Kartoffelschälen in der Küche.

Das ausführliche Interview ist in der KUCK-Ausgabe Nr. 49 zu lesen oder kann hier direkt heruntergeladen werden.

Stilles Staunen
© Johannes Maria Schwarz